Eingezäunt Bei Kaiserwetter trafen sich auf dem Sarner Landenberg (nebst leider sehr wenigen Vertreterinnen und Vertreter des Landvolkes) die geladenen Gäste aus Politik, Politik und Politik und etwas Kirche, um in einem feierlichen und beinahe monumental gestalteten Staatsakt den erst 1947 von der katholischen Kirche heiliggesprochene Obwaldner Mystiker Niklaus von Flüe (1417-1487) anlässlich seines 600. Geburtstags zu ehren. Nicht geladen waren all jene, die sich im Gedenkjahr zum grossen Teil unentgeltlich für Projekte ins Zeug gelegt hatten und auch nicht jene, die ihre teilweise aufwändigen „Mitmachprojekte“ aus angeblichem Mangel an finanziellen Mitteln gezwungenermassen schlecht bezahlt oder ganz gratis realisieren mussten. Sie alle und die Bevölkerung wurden in den Reden am Festakt aber sinnigerweise darauf hingewiesen, dass, gemäss des Heiligen im Ranft, eben „der Heilige Geist der letzte Lohn sei“, nicht aber die tatkräftige Anerkennung durch die Obwaldner Behörden, die den Mystiker beim Wort nahmen und „den zuun nicht zu wyt machten“ und am besagten Festakt eine scharfe Trennlinie zwischen „very important“ und „not important“ zu machen wussten. Gott sei Dank war es sonniges Wetter, denn bei schlechter Witterung hätte die Organisation das gemeine Volk im Regen buchstäblich stehen lassen: Das Zelt bot nämlich nur Platz und Sitzgelegenheit für die Geladenen, wodurch man ein weiteres Zeichen setzte, wie der Anlass zu verstehen war. Die Abwesenheit der Bevölkerung hatte denn wahrscheinlich auch weniger mit einem Mangel an Interesse zu tun als mit der Ahnung, dass es sich in gewissem Sinn genommen um eine geschlossene Veranstaltung handelte. Einander gehorsam sein Der Staatsakt zu Ehren des Obwaldner Volksheiligen war offenbar eine Ehrung der Politiker für Politiker und noch mehr Politiker mit etwas Kirche (die Armee hatte man übrigens wie die vielen Mitwirkenden auch vergessen einzuladen, obwohl sich das bei einem Staatsakt protokollarisch gehört) und man gedachte vielleicht vor allem auch deshalb des scheinbar so einflussreichen Politikers und Ratsherrn Niklaus von Flüe, der er nicht war. Man wurde überdies nicht müde, seine Funktion als damals bereits heiligmässig geltenden Ratgeber für die Politiker und Diplomaten in seiner Zeit hervorzuheben und zu würdigen. Den im Sinne der geistigen Landesverteidigung noch bis in die 80er auch stets gerne als Offizier gewürdigte Klaus von Flüe blieb unerwähnt; die Gräueltaten im Alten Zürichkrieg sind heute zu stark im Bewusstsein der Öffentlichkeit, und auch wenn Klaus von Flüe nicht zu jenen gehörte, die das Massaker von Greifensee zu verantworten hatten, so kämpfte er dennoch freiwillig mit im einem der grausamsten Kriege in der gesamten Schweizer Geschichte. Aber mit Kriegsverbrechen mochte man sich am Staatsakt die Festlaune nicht verderben, und wer weiss, vielleicht hatte man die Armee-Spitzen deshalb gar nicht aus Versehen nicht eingeladen. Der Obwaldner Landammann begrüsste zu Beginn des Akts - im Hintergrund die eindrückliche Kulisse der verschneiten Melchtaler Berge und einer im Wind würdig flatternde Flagge - die anwesende Politikerinnen und Politiker und die ebenfalls noch zusätzlich anwesenden Politikerinnen und Politiker und auch die immerhin ebenfalls etwas anwesenden Kirchenvertreter, um dann das Wort dem Germanisten und Schriftsteller Peter von Matt zu geben, der in einer ebenso launigen wie brillanten Festrede dem heiligen Eremiten und Mystiker Niklaus von Flüe vor allem in politischer Hinsicht ein würdiges Denkmal setzte. Nach Hanspeter Müller-Drossaarts satirischem Intermezzo war es dann an der Bundespräsidentin, in einer Ansprache den Ranftheiligen zu ehren, pikanterweise nachdem Doris Leuthard als Mitglied der Landesregierung zumindest in kollegialbehördlichem Sinn einen eidgenössischen Staatsakt für den Landesheiligen abgelehnt hatte. Sie zitierte in ihrer Rede schon wie zuvor Peter von Matt die Aufforderung des Obwaldner Mystikers, „einander gehorsam zu sein“ - also einander zuzuhören. Das aber machte die Magistratin den insgesamt rund 500 Anwesenden allerdings reichlich schwer, denn selten hörte man eine derart banale, sinnleere und uninspirierte Rede, und am anschliessenden „Volks-Apéro (bei dem sich wiederum auch infolge der vorbereiteten Logistik Geladene und Ungeladene kaum wirklich mischen konnten) war das Konsens, und man ärgerte sich auch über den Schlusssatz der Bundespräsidentin, dass es nämlich heute keines weisen Ratgebers mehr bedürfe; wir brächten das heute schon allein auf die Reihe. Der offizielle Staatsakt war vorüber, die Politikerinnen und Politiker gingen mit den anderen Politikern und Politikerinnen und mit etwas Kirche zum Staatsbankett und am Nachmittag standen die Pforten des Obwaldner Museums, des Rathauses und des geschlossenen Frauenklosters der Sarner Benediktinerinnen offen. Alles in allem eine gelungene und gut organisierte Sache, durchaus, und die auswärtigen Politikerinnen und Politiker waren des Lobes voll. Der Staatsakt war schliesslich auch eine willkommene Gelegenheit, den Kanton nach aussen in bester Weise zu präsentieren, so wie das bis 1998 jeweils jedes Jahr die Landsgemeinde tat, die man damals - auch auf Bestreben der Obwaldner Regierung - ums Verrecken abschaffen wollte. Dieser Staatsakt aber bot wieder PR-Gelegenheit; und auf das Marketing mit dem Heiligen, der nicht mehr essen konnte, verstanden sich die Obwaldner Behörden seit jeher bestens - und das bereits zu Lebzeiten des Eremiten und auch danach, etwa, als man 1493 den Berner Gelehrten Heinrich Wölflin sogar eine offizielle, sozusagen amtliche Biografie schreiben liess. Der Name Jesus sei euer Gruss Erst später am Abend und tags darauf, als ich den Tag Revue passieren liess, stiegen in mir gemischte Gefühle auf: Wie und von wem wurde wodurch der Mystiker und Gottessucher Klaus von Flüe an jenem 30. April 2017 gefeiert und geehrt? Was genau wurde am Staatsakt gewürdigt? Und: Worin liegen das faszinierende Geheimnis und die Bedeutung des heiligen Mannes in der Melchtal-Schlucht? Aufzuzählen gab es da viel und natürlich durfte bei den Würdigungen das berühmte Stanser Verkommnis von 1481 nicht fehlen, jener Vertrag, der die Eidgenossenschaft angeblich vor einem schrecklichen Bürgerkrieg rettete, jener Staatsvertrag, der allein durch einen Ratschlag des Ranftheiligen im letzten Augenblick zustande gekommen sein soll. Der Umstand, dass man damals in Stans über den Inhalt des Ratschlags aus der Ranftschlucht absolutes Stillschweigen vereinbarte, legt allerdings nahe, dass sich Bruder Klaus zumindest inhaltlich nicht konkret in die Verhandlungen einmischte. Das ist jedenfalls zu hoffen, denn wer das Stanser Verkommnis einmal gelesen hat (das der Eidgenossenschaft übrigens bis 1798 als eine Art Verfassung zugrunde lag), sieht sich mit einem folgenschweren und letztlich über weite Strecke schlimmen Schriftstück konfrontiert, das den Grundstein für Feudalismus und Absolutismus legt; das Dokument markiert in seiner Ausrichtung nämlich das Ende der „getreuen lieben Miteigenossen“, denen im besagten Vertrag nun sogar das freie Versammlungsrecht abgesprochen wird; von nun an gab es Herren und Untertanen, Oligarchen und Pöbel, und die Patrizier in den Städten und die führenden Familien in den Landorten wussten jetzt nur zu gut, wie sie gegenseitig ihre Interessen schützen konnten. Es ging nämlich nicht mehr um Stadt oder Land, sondern vielmehr darum, wer das Sagen hatte und auch, wem die lukrativen Pensionen aus Spanien, Frankreich und Italien für die auf Europas Schlachtfeldern verheizten jungen Burschen zugutekamen. Gewiss, der Vertragstext trägt nicht die Handschrift von Bruder Klaus; aber leider sehen wir uns mit dem Umstand konfrontiert, dass sich ein auch der Unterdrückung dienendes Dokument mit Verfassungswirkung über die Heiligmässigkeit des Ranfteremiten und dessen hochgeheimen Ratschlag legitimiert hatte. Wer sich ins Räderwerk der Politik begibt, wird kaum rein und unbeschmutzt davonkommen, und nicht von ungefähr zeigte Jesus von Nazareth der Politik stets die kalte Schulter. Worin also liegt das Grosse, das Faszinierende an Bruder Klaus? Was ist es, das Geheimnis des Ranftheiligen? Ist es vor allem der Umstand, dass er den anreisenden Politikern zugehört und ihnen sogar Ratschläge gegeben hat? Diesen Eindruck jedenfalls gewann man am Staatsakt in Sarnen. Dies aber zum Hauptteil einer Würdigung zu machen, macht die Angelegenheit jedoch zwiespältig, denn die politischen Verhältnisse waren in jenen Zeiten ebenso zynisch wie abstrus, und sie blieben es auch, nachdem die Granden und Hochwohlgeborenen den Eremiten in zum Teil offizieller Mission aufgesucht hatten. Und wieder drängt sich die Frage auf: War es in einer Zeit überbordender Ungerechtigkeiten, Kriegslust und steigender Ungleichheit überhaupt richtig, diese Machtpolitiker im Ranft zu begrüssen und ihnen „gehorsam“ zu sein? War ein Empfang durch den wie bereits erwähnt zu Lebzeiten bereits berühmten und als heiligmässig geltenden Einsiedler nicht geradezu eine Auszeichnung für diese Bonzen, eine Bestätigung und letztlich wiederum eine Legitimation, auf denselben machtpolitischen Pfaden weiter zu wandeln und sich weiter an einer steigenden Ungleichheit zu bereichern? Es ist leider nicht überliefert, dass auf Grund des Rates des Eremiten ein grosses politisches Unrecht verhindert worden wäre und sogar Klaus von Flües ältester Sohn mischte in nicht wirklich christlicher Weise mit im Machtpoker seiner Zeit. Die Sache ist auch zusätzlich problematisch, weil Bruder Klaus in der Ranftschlucht keineswegs in einem sozialen und politischen Vakuum lebte; es ist die Aussage eines Diplomaten bekannt, dass er den Eremiten über alles Angelegenheit bestens informiert vorgefunden habe. „Der Name Jesus sei euer Gruss“ lehrte uns Klaus von Flüe. Wie aber hätte Jesus gehandelt, wenn sich bei ihm die Diplomaten der Sforzas eingeschleimt und die Berner Aristokraten vorgesprochen hätten, die es auch mit durchaus zweifelhaften Mitteln darauf abgesehen hatten, zwischen den Häusern von Savoyen und Habsburg zumindest eine kleine Supermacht zu werden? Hat Jesus die Sadduzäer und führenden Pharisäer etwa ständig empfangen, sie angehört und sie, versehen mit kryptischen Ratschlägen, wieder in Ehren entlassen? Die Evangelien sprechen Klartext und machen deutlich, dass Jesus genau das das keineswegs tat, dass er sich im Gegenteil davor hütete, diesen Heuchlern und Scheinheiligen „gehorsam“ zu sein. Was hätte Bruder Klaus wohl gesagt, wenn er an diesem wunderbaren Sonntag am letzten Tag des Aprils das aufgefahrene „Rösslispiel“ gesehen hätte und hätte kommentieren können? Nun, ich denke, es hätte ihm gewiss gefallen, sich von seinen getrywen, lieben Mitlandlyt so geliebt und gewürdigt zu sehen, und daran wäre auch nichts auszusetzen. Doch bin ich mir nicht sicher, ob es ihm gefallen hätte, dass am besagten Staatsakt die Würdigung seines gesamten Wirkens fast ausschliesslich auf seine politische Rolle beschränkt blieb, und dass man aus ihm, dem radikalen Gottessucher, dem im spiritistischen Sinn visionsbegabten Medium und demütigen Diener Gottes, so etwas wie einen politischen Popanz machte, dessen radikaler Weg und unerbittliches Fasten sinnigerweise mit einem anschliessenden Staatsbankett gefeiert wurde. Aber oft wirkt es nicht nur unzulänglich, sondern auch unappetitlich und mitunter sogar pervers, wenn die Politik mit Politikern und etwas Kirche „heilige“ Männer - Mystiker, Seher und Propheten - vereinnahmen, um sich sie und ihre Ideen zu eigen zu machen. Immerhin: Das Rezept ist altbekannt und in eben diesem Sinn machte die Kirche den Begründer der Minoritenbewegung und Kritiker einer reichen Kirche, Francesco Bernadone, zu ihrem Heiligen und pervertierte bereits kurz nach dessen Tod sein Erbe; eine Entwicklung, die Franz von Assisi übrigens vor seinem frühen Tod auch durchaus ahnte, was ihn in den letzten Jahren in eine tiefe Depression stürzte. Was hätte Bruder Klaus gesagt? Was also hätte Bruder Klaus zu diesem Staatsakt gesagt, der da für ihn am traditionellen Landsgemeinde-Sonntag zu Ehren ausgerichtet wurde? Vielleicht wäre er irritiert gewesen, wie wenig Gott, der Glaube und die Gottessuche Teil der Reden und überhaupt des gesamten Würdigung war. Vielleicht wäre er auch irritiert, sogar beschämt gewesen, wie sehr man ihn, den bescheidenen Diener Gottes, der in vollster Überzeugung in Jesus Christus die heilsbringende Menschwerdung Gottes sah, zum Selbstläufer stilisiert hat, zum hauseigenen Messias quasi, um ihn dann doch ständig auf den Boden der Realität und der Politik der damaligen Eidgenossenschaft zurück zu zerren. Und ich glaube mich zu erinnern, dass der Name Jesus, der doch laut Klaus von Flüe stets unser Gruss sein sollte, im gesamten Staatsakt kein einziges Mal fiel. Aber vielleicht war das auch nicht von Interesse für die Politik und geladenen Politikerinnen und Politiker und offenbar nicht einmal für die Männer der etwas anwesenden Kirche, die als Vertreter von Glaube und Religion am Staatsakt zu Ehren des heiligen Bruder Klaus ganz offensichtlich nichts sagen mochten oder denen zumindest von Seiten der Organisatoren das Wort nicht erteilt wurde. Über Gott und seinen Sohn werden sie in ihren Kirchen wieder sprechen; der Staatsakt vom 30. April 2017 hatte nichts mit Glaube und Religion zu tun. Es war ein Akt des Staates. Für den Staat und für jene, die ihn offiziell verkörpern. Luke Gasser 2. Mai 2017
2 Kommentare
Schurtenberger Edgar
7/5/2017 11:22:24 am
"Hanspeter Müller-Drossaarts satirisches Intermezzo"
Antwort
8/6/2017 12:25:07 pm
Lieber Edgar Schurtenberger
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AuthorLuke Gasser Archives
November 2019
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