Was für ein tolles Album, das die Stones im Frühsommer 1968 unter dem Titel „Beggar’s Banquet“ eingespielt haben. Und was für ein grossartiger Song am Ende der Platte, dieses wunderbar epische und zynische „Salt Of the Earth“: Trinken wir auf die, die harte arbeitet Trinken wir auf die von niederer Herkunft Hoch die Gläser auf das Gute und Böse Trinken wir auf das Salz der Erde… In einer der Sonntagszeitungen vom 5. Februar 2017 las ich ein aufschlussreiches Interview mit dem US-amerikanischen Philosophen Michael Sandel, der in seinen Quotes einige interessante Aussagen über die in letzter Zeit so oft zitierte, oft geschmähte „Elite“. Nein, die Beargwöhnung gegenüber einer Elite komme nicht von ungefähr, so Sandel, sie habe sogar durchaus ihre Berechtigung, und er führt als Grund unter anderem die mittlerweile leider kaum zu widerlegende Tatsache ins Feld, dass die Durchlässigkeit zwischen den sozialen Schichten - immerhin das Versprechen und letztlich das soziale Erfolgsrezept der westlichen Nachkriegs-Gesellschaft - nicht oder zumindest kaum mehr gewährleistet sei. „Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt.“, heisst es in einem alten Hazy Osterwald-Schlager, „Sie müssen warten…“ Doch irgendwie mögen die Menschen in den westlichen Demokratien nicht mehr warten. Sie haben es satt, dass diese Globalisierung, die angeblich für die Ökonomie so grossartig und offenbar auch noch alternativlos sein soll, immer mehr Verlierer produziert, während sie sehen, wie sich die Zahl der wenigen Milliardären um ein Vielfaches vervielfacht hat. Und sie haben es satt, dass ehrliche und sinnstiftende Arbeit immer schlechter bezahlt wird, während Banker und Broker mit sinnlosen Finanztransaktionen Milliarden einstreichen, Tätigkeiten, die notabene oft genug auch noch das Gemeinwesen plündern. Und sie haben inzwischen auch längst all jene satt, die sich nicht entblöden, eben die hart arbeitende Bevölkerung für die eigenen Fehlleistungen blechen zu lassen, um sich für offensichtliches und sogar erwiesenes Versagen auch noch Bonuszahlungen in Milliardenhöhe unter den Nagel zu reissen. Aber andererseits ist sich bekanntlich jeder der nächste. Warum auch sollten sie nicht so verfahren, wenn sie damit durchkommen? Die Politik schützt diese Herren ja seit Jahren. Auch, weil eben dieses System angeblich alternativlos ist. Und das Volk wählt sie ja doch immer wieder, diese Politiker, diese alternativlose Agenda vertreten. Und während ich schreibe, fährt im Hintergrund Mick Jagger fort: …Denkt an den einfachen Infanteristen Denkt daran, wie er sich abschinden muss… Nein, für den einfachen Infanteristen ist in der alternativlosen Ordnung kein Platz. Noch eine interessante Beobachtung machte Michael Sandel nämlich im besagten Interview: Der omnipräsente VIP-Kult, der sich überall zeigt und den er direkt mit der neuen Ablehnung der sogenannten Eliten verknüpft. Und da hat sich tatsächlich einiges verändert. Im Alten Rom etwa gehörte es zum Staatskitt, dass sich Senatoren, Patrizier und der Plebs in ein und derselben Arena einfanden, in verschieden attraktiven Rängen, gewiss, aber alle sozialen Klassen waren für einander sichtbar in der Arena. Begeben wir uns hingegen heute an einen Fussball-Match oder an ein Stadion-Konzert, so sind sie nicht zu übersehen, die VIP-Logen, meist über dem Pöbel thronend, die Auserwählten durch Einweg-Fenstern vor den Blicken jener abgeschirmt, die zum Kuchen nicht gehören, abgesondert von denen, die da von nieder Herkunft oder bloss gewöhnliche Infanteristen sind, keinen „Access to all areas“ haben. Der ist nur für die, die mittlerweile mit dem Recht der edlen Geburt (Geldadel) ihren Platz an der Sonne geniessen oder eben jene, in der Meritokratie den Fahrstuhl nach oben ausnahmsweise erwischt haben. …Betet für die Frau des Infanteristen und für seine Kinder Die das Feuer unterhalten und das Land bestellen… Allein, die Frau des Infanteristen weiss sehr wohl, dass Gebete die Miete nicht bezahlen. Allenthalben brodelt es, Unmut macht sich breit. Doch jene, die ihn verspüren, werden „Wutbürger“ genannt in den Medien, die den VIPs in den Logen gehören und mehrheitlich von VIPs oder zumindest denen, die ihnen am Rockzipfel hängen, gestaltet werden. Und die, die diesen Unmut artikulieren, werden meist bloss noch „Populisten“ geheissen, Volksverhetzer sogar, die mit fake news und alternativ facts Bauernfängerei betrieben. Es sind aber gleichzeitig auch die News-VIPs, die die Nachrichtenagenda setzen, die Begrifflichkeit definieren, den richtigen Grad an political correctness festlegen und dabei selber - bewusst oder unbewusst - Begriffe vermengen oder verwässern, etwa, wenn pauschal alle Immigranten aus Afrika als Flüchtlinge bezeichnet werden. Politiker machen in den Talkshows auch längst keine Unterschiede mehr zwischen Asylberechtigten, Flüchtlingen und - eben - Immigranten. Wozu auch? Das würde den Plebs ja bloss verwirren. …Denkt an den Wähler, der zu Hause bleibt Und mit leeren Augen auf eine seltsame Modeschau starrt… Die Wähler seien heute, so hört man, angesichts einer so komplexen Welt überfordert. Und deswegen trachteten sie nach einfachen Lösungen. Natürlich bringen sie keine bessere Welt, jene, die poltern und zündeln. Und wer das AfD-Programm gelesen hat, sollte erkennen, dass dieses gerade so gut eine Abschrift eines Tea-Party-Pamphlet sein könnte; eigentlich müsste man doch inzwischen wissen, wohin das am Ende führt. Und dass der aktuelle Agitator im Weissen Haus die Welt nicht besser macht und noch nicht einmal sein eigenes Land, wird wohl bereits sehr bald die Zukunft zeigen. Nein, Wilders und Le Pen sind keine Alternativen und Usurpatoren wie Orban oder Erdogan schon gar nicht. Und dabei bleibt es wohl für alle Zeit rätselhaft, warum Bürgerinnen und Bürger, die man in den Arsch gefickt hat, ausgerechnet jenen nachlaufen, die das Arschficken am weitaus besten verstehen. …Denken wir an die führerlosen Millionen Die statt Anführern nur Spielernaturen kriegen… Steht am Ende womöglich doch der tiefe Wunsch, am Ende dann doch geführt zu werden? Oder ist es eine schon beinahe verzweifelte Hoffnung auf Alternativen in einem angeblich alternativlosen System? Vielleicht. Aber der Aufstieg der Verführer ist leider auch dem völligen Versagen einer vernünftigen Mitte zuzuschreiben, jener Mitte, die einst mit der inzwischen bald in Trümmer liegenden Sozialen Marktwirtschaft den hart arbeitenden Wählerinnen und Wählern eine Perspektive gab: Den Unbegabten, anständig zu leben, den Strebern, es weit zu bringen. Davon hat man sich inzwischen leider weitgehend verabschiedet und es waren absurderweise auch Sozialisten, die angefangen hatten, den Bonzen zu hätscheln, während man alsdann in der Unterschicht überall Schmarotzer und Taugenichts vermutete, Versager, denen es die Stützen zu kürzen galt. Nun bleibt Armut und Perspektivlosigkeit in den unteren Schichten kleben und wird sogar - auch dank den stetigen Einsparungen im Bildungswesen - mit grosser Effizienz weiter vererbt. (Andererseits, was soll man sich aus ökonomischer Sicht überhaupt noch ausbilden lassen, wenn selbst ein jahrelanges Studium bloss noch die Perspektive auf Praktika und zeitlich begrenzte, meist unterbezahlte Projektarbeiten ermöglicht?) Kümmert sich also niemand mehr um die viel zitierten hard working people? Es heisst jedenfalls, dass in den acht Jahren Obama kaum je ein Gewerkschaftsführer im Weissen Haus zu Gast war, dafür aber jede Menge Celebreties, Hollywood-Grössen etwa und die Granden der Musikindustrie, die ihr Geld und ihren Ruhm übrigens ernteten, als das in einer noch nicht globalisierten Welt noch möglich war, auch, weil die Musik noch nicht auf Streaming-Plattformen zum Nulltarif verramscht und verhökert wurde. Aber die Promis haben inzwischen ihre Schäflein im Trockenen. Und es ist nun mal so: Die Letzten beissen die Hunde. Während deinen von der Gnade einer späten Geburt reden, erweist sich eben diese für die anderen ein Fluch. Wie dem auch sei: Irgendwann kommt sie immer, die Sintflut, um all jene zu holen, die aus Mangel an Insider-Information nicht rechtzeitig ein Schiff bauen konnten. Oder aus ökonomischen Gründen dazu nicht im Stande waren. Für die Hipster Amerikas hat sich mit der Person des New Yorker Spekulanten vieles zumindest kurzfristig geändert. Natürlich: den Intellektuellen an der Ost und Westküste der USA geht es in ihrer Ablehnung des Neuen im Weissen Haus durchaus um Politik; aber es wurde im letzten November einigen unter den Stars und Sternchen auch schlagartig klar, dass sie als Hollywood-Promis und Pop-Celebreties nicht mehr allein den Takt vorgaben in einer Gesellschaft, in denen nicht mehr allein Meryl Streep, sondern auch der Plummer Joe etwas zu sagen hatte und in der nun plötzlich Rustbelt-Fabrikarbeiter und Midwest-Cowboys die Wahlen entschieden hatten. Was Wunder, verspürte Robert de Niro in einem von ihm geposteten Video-Clip diese grosse Lust, Donald Trump in die Fresse zu schlagen. In Europa gehört ein ansehnlicher Teil der Linken nach ihrem langen Marsch durch die Institutionen zu politischen und gesellschaftlichen VIPs; Gerhard Schröder sitzt in diversen hochdotierten Verwaltungsräten und Joschka Fischer (der sich jetzt lieber Josef nennt) hat einen Lehrstuhl in eine US-Eliteuniversität inne. Man ist angekommen im Bereich von Macht und Einfluss, und man war gekommen um zu bleiben. Man hat es sich inzwischen dort gemütlich eingerichtet, man hat Pfründe verteilt und man hat welche bekommen. Und immer wieder sind jetzt dieselben Damen und Herren bei Anne Will zu Gast, oder bei Frank Plassberg und bei Sandra Maischberger, und sie erzählen als Politiker seit Jahren dasselbe, ohne es selber besser gemacht zu haben. Oft genug strotzen einige von ihnen sogar vor Arroganz und Borniertheit, auch, weil sie in ihren VIP-Lounges schlicht keine Ahnung mehr haben vom einfachen Infanteristen, seiner Frau und vom hundskommunen Wähler. Viele von ihnen, die so gerne von Kreativität und Kultur faseln, haben es zudem zugelassen, dass Künstler geplündert und täglich um ihr geistiges Eigentum geprellt werden von Konzernen, die noch nicht einmal mit Steuern das Gemeinwesen mitfinanzieren, auch, weil New Labour und die Neue Mitte nicht müde wurden, diesen Unternehmen sämtliche Privilegien zuzuschanzen und deren CEOs den Allerwertesten zu lecken. Und dieselben Sozis waren es dann auch, die nun wirtschaftsliberalen Kreisen das Wort redeten und in staatlichen Kulturförderinstitutionen mehr und mehr auf den kommerziellen Erfolg statt auf das künstlerische Risiko setzten, auch, weil kommerzieller Erfolg messbar ist: In Euros, Dollars und Schweizer Franken. Was Wunder, das heute alles irgendwie wir McDonald aussieht und wie Heineken schmeckt! Sechs Musikproduzenten zeichnen inzwischen für die Hälfte aller Songs verantwortlich, die im Radio gespielt werden (was wiederum der Entscheidung einer kleinen Minderheit zu verdanken ist) und es sind bald auch hierzulande immer dieselben erlauchten und vom Establishment berücksichtigten Kreise, die in zunehmender Weise Ästhetik und Publikumsgeschmack bestimmen. (Und wer weiss, vielleicht steht sie tatsächlich am Anfang, die kulturelle und künstlerische Gleichschaltung, bevor man sich daran machen kann, das Bargeld abzuschaffen und wegen der vielzitierten Komplexität die Volksrechte zu minimieren.) Natürlich bestätigen bekanntlich Ausnahmen die Regeln, und Ausnahmen gibt es auch in einer ökonomisierten Kulturpolitik, etwa bei jenen Kulturhappenings und Kulturinstitutionen, bei und in denen sich die Elite, die VIPs, das Establishment selber so gut feiern können: In den sündhaft teuren Opernhäusern etwa, die, so wie aktuell in Hamburg, gut und gerne das Zehnfache kosten dürfen als am Anfang beim demokratischen Findungsprozess voranschlagt. Schuldige gibt es in solchen Fällen jeweils keine, dafür erwischt man einen Hartz IV-Empfänger, der den Götti-Batzen seiner Tochter beim Sozialamt nicht angegeben, quasi in bösartiger und habgieriger Manier unterschlagen hat, womit der Staat eindrücklich beweist, dass er sich nicht ficken lässt. Durchaus, die Welt ist komplex und keine Antwort kann simpel sein. Nun sind in diesem Zusammenhang aber gerade die vielen vereinfachten Erklärungen interessant, die uns in diesen Tagen von Polit-Experten angeboten werden. Aber Donald Trump hat die Wahl nicht deshalb gewonnen, weil die Amis blöd und einfältig sind oder weil man ihn im Amiland so geliebt hat. Und schon gar nicht, weil man Trump für die beste Wahl hielt. Ich kenne die USA recht gut, auch, weil ich viele Verwandte und Bekannte in Kansas, im Swing State Wisconsin, in Colorado und DC habe. Ich war im Sommer 2016 wieder mal dort und war fast einen Monat lange im Mittelwesten unterwegs – eben dort, wo angeblich die Tumben, die Ungebildeten und Abgehängten leben, wohnen und wählen - und arbeiten, sofern ihre Arbeitsplätze nicht verschwunden sind. Nein, Trump begeisterte kaum jemanden dort, jedenfalls niemanden, den ich selber kenne. Nur eines wollte man auf keinen Fall: Die Ober-VIP-Elite-Tante aus New York. Es war nicht wegen Benghazi oder wegen der E-Mail-Affäre, weshalb man die ehemalige First Lady nicht in DC haben wollte. Es war vielmehr diese unverfrorene Arroganz, die diese Frau ausstrahlte und die darin gipfelte, dass sie die Verlierer von Globalisierung und Digitalisierung in einer ihrer Reden sogar lapidar als „die Bedauernswerten“ bezeichnete. Was aber bei Mick Jagger als Poesie daherkommt, ist bei einer Präsidentschaftskandidatin purer Zynismus. …Und wenn ich eine gesichtslose Masse sehe Eine brodelnde Masse von Grau und Schwarz und Weiss Dann sehen die mir gar nicht wie Menschen aus Auf mich wirken sie ziemlich fremd… Der Song bringt diese Arroganz und das damit verbundene Unbehagen meisterhaft auf den Punkt. Nun besteht allerdings ein wesentlicher Unterschied, ob man als 25jähriger Rockstar solche Zeilen der Arroganz schreibt oder sich ein sogenannter Volksvertreter dergestalt äussert. Und es ist bestimmt nicht dasselbe, wenn ein Rock’n’Roll-Bohemian solche Zeilen singt oder ob eine kandidierende Präsidentschaftskandidatin in Gönnerlaune von den „Bedauernswerten“ im Land spricht. A propos Talkshows: An jenem besagten Sonntag, an dem ich das Sandel-Interview gelesen hatte, beklagten am Abend bei Anne Will wieder einmal die Politik-VIPs das Elend mit Donald Trump und man warnte mit den üblich besorgten Mienen vor der Gefahr des Populismus‘. Die Debatte verlief eigentlich ganz vernünftig - bis gegen Ende, als dann die Masken doch noch fielen, als man sich nämlich einig war, dass Volksentscheide keinesfalls ein probates Mittel sei, eine Demokratie sinnvoll zu gestalten. Im Gegenteil, da waren alle derselben Meinung, seien Plebiszite sogar durchaus gefährlich; genau das habe man ja beim Brexit-Referendum feststellen können (womit man sich natürlich ebenfalls einig war, was denn für die Briten der einzig richtige und letztlich alternativlose Entscheid gewesen wäre). Um die Sache auch noch denkwürdig abzurunden, verstiegen sich am Ende der Sendung Deutschlands Justizminister Heiko Maas und der wahrscheinlich bereits mit einem „Ich weiss Bescheid“-Gesicht zur Welt gekommene Historiker Heinrich August Winkler in der Behauptung, dass Volksentscheide eben gerade dadurch gefährlich seien, weil das Volk von den reichen Menschen beeinflusst werden würden. Hatte ich das jetzt richtig gehört? Nicht nur Inhalt und Begleitumstände des geplanten TTIP-Abkommen haben es gezeigt: Dass die Lobbysten längst die Parlamente in ihren Krallen haben, ist weiss Gott kein Geheimnis mehr und es bleibt zu hoffen, dass sich diese Politikexperten, die sich in ihrer Ablehnung einer direkten Demokratie so einig waren, dessen bewusst waren, als sie vor einem Millionenpublikum so fahrlässig dahinredeten. Es ist nämlich im Gegenteil weitaus einfacher, Parlamente für private Interessen einzuspannen, wie eben jüngst die unseligen Prozesse rund um das Transatlantische Abkommen drastisch gezeigt haben. Die direkte Demokratie wirkt da eher beruhigend, wie etwa das politische Erfolgsmodell der Schweiz durchaus eindrücklich zeigt. Gegenteilige Behauptungen vor versammeltem Fernsehpublikum sind entweder ein Akt von unfreiwilliger Selbstentlarvung oder von Arroganz. Wie auch immer: Dumm sind sie allemal. Luke Gasser
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April 2018
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